Kreatives Engagement für mehr Gerechtigkeit und Diversität im Bildungswesen

Wo sind die Frauen? Die Tatsache, dass Frauen häufig in den Lehrplänen der Schulen nicht berücksichtigt werden, bleibt nicht ohne Folgen: Sie trägt wesentlich zur Aufrechterhaltung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Gesellschaft bei. Auf der Grundlage umfangreicher Recherchen und Interviews mit Bildungsexpert:innen hat Giulia Ferla im Rahmen ihrer Masterarbeit ein pädagogisches Tool für Lehrkräfte entwickelt. Hier berichtet sie, wie sie auf dieses gesellschaftlich hoch relevante Thema gestoßen ist und in welcher Weise sie von ihrem Studium an der HMKW profitiert.

Giulia Ferla, seit Kurzem Absolventin des M.A. Kommunikationsdesign und Kreative Strategien

Giulia Ferla, seit Kurzem Absolventin des M.A. Kommunikationsdesign und Kreative Strategien

Warum haben Sie sich für den Studiengang "M.A. Kommunikationsdesign und Kreative Strategien" entschieden?

Nach meinem Abschluss an einer Kunsthochschule in der Schweiz (ECAL) bin ich nach London gegangen, um ein Praktikum im Atelier Dyakova zu machen, was eine tolle Erfahrung war. Da Berlin ein besonderer Ort für mich war, wollte ich mich dort für eine Weile niederlassen.

Mein vorheriges Studium in Grafikdesign und Fotografie hat mir große technische und künstlerische Fähigkeiten sowie kritisches Denken vermittelt. Deshalb war ich mehr daran interessiert, strategische, analytische und forschende Kompetenzen zu erlernen und zu verbessern. Ich wollte meine Projekte als Werkzeuge und Lösungen innerhalb bestehender Ökosysteme betrachten und nicht nur als ästhetische und/oder isolierte Objekte.

Was hat Ihnen an Ihrem Studium/dem Studiengang im Allgemeinen am besten gefallen? Und was war die größte Herausforderung während Ihres Studiums?

Mir gefiel die Mischung aus persönlichen und kundenbezogenen Projekten sowie die Wahlfächer wie Medienrecht und Medienpsychologie. Obwohl ich in einem Vollzeitprogramm eingeschrieben war, konnte ich viel erkunden, lesen und genießen, was Berlin zu bieten hat. Diese kostbare Zeit ist das, was uns normalerweise im Leben fehlt, wo sie doch so notwendig für Kreativität und persönliche Weiterbildung ist.

Die größte Herausforderung war sicherlich das vollständige Fernstudium während meines ersten Jahres wegen Covid. Den ganzen Tag am Computer zu sitzen ist ermüdend. Die Dynamik, die Energie und die Spontaneität der Beziehungen sind nicht dieselben, und außerdem sind sie sehr begrenzt.

 

 

Bitte erzählen Sie uns mehr über Ihre Masterarbeit: Was war Ihr Thema und wie sind Sie darauf gestoßen?

Das Thema meiner Masterarbeit wurzelt zum Teil in meinen Erfahrungen in der Schule. Was ich erst viel später erkannte, war kein Zufall und schon gar kein Einzelfall.

Der Zugang zu Bildung ist ein Menschenrecht, für das Frauen kämpfen mussten (und in einigen Ländern immer noch kämpfen). Dank der feministischen Bewegung hatte ich die Chance, ein Studium zu absolvieren und mir viel Wissen anzueignen. Aber das Problem ist, dass dieses spezielle Wissen anderen verborgen bleibt. Was ich lernte, wurde als neutrale - sogar universelle - Erzählungen präsentiert, obwohl es in Wirklichkeit eine ausschließlich männliche, europäische/androzentrische und heteronormative Perspektive auf die Welt und die Geschichte war.

Frauen (und ihre Arbeit, ihre Erfahrungen, ihre Verdienste...) sind in allen Schulfächern nach wie vor weitgehend unterrepräsentiert (wenn sie nicht sogar völlig fehlen), während "vernünftige" Themen wie Sexismus, Rassismus und Klimakrise totgeschwiegen werden.

Diese Tatsache ist nicht unbedeutend: Wissen ist ein großer Teil der Macht, und die Schule ist ein Ort des Wissens, der nicht alle gleichermaßen fördert. Die Darstellungen und Werte, die sie vermittelt, bestimmen die Rollen und Beziehungen zwischen Frauen und Männern in der Gesellschaft. In diesem Sinne ist Unterricht politisch.

Trotz jahrelanger Studien, Analysen, Forschungen, Expertenmeinungen und zahlreicher Lösungsvorschläge (oft von Frauen) klafft jedoch nach wie vor eine große Lücke zwischen der Politik, die auf die Gleichstellung der Geschlechter im Bildungswesen abzielt, und der konkreten Umsetzung der Pädagogik, die dies ermöglichen soll.

Theoretisch sollte sich der Lehrerberuf in einem ständigen Entwicklungs- und damit Anpassungsprozess befinden, doch in der Praxis sieht die Realität ganz anders aus: Lehrmittel, -materialien und -ausbildungen hinken hinterher.

Die Beseitigung dieser Defizite ist eine große Herausforderung, denn die Beseitigung (oder Nichtbeseitigung) der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist eine Entscheidung für die Zukunft (oder deren Verzicht). Und dies kann nur durch die Demaskulinisierung, Demokratisierung und Diversifizierung des Wissens erreicht werden.

Der theoretische Teil meiner Masterarbeit befasst sich mit verschiedenen bestehenden Kontexten und zeigt auf, dass die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, der Rasse und der Klasse systemisch, systematisch und oft miteinander verwoben ist. Die Stimmen vieler Frauen (Schriftstellerinnen, Philosophinnen, Forscherinnen, Journalistinnen, Künstlerinnen usw.) aus Vergangenheit und Gegenwart beleuchten diesen umfassenden Überblick. Die paradoxe Rolle der Schule, sowohl als potenzieller Akteur des Wandels als auch als Komplize eines patriarchalischen und kapitalistischen Systems, bildet den roten Faden, der zu meinem Praxisprojekt führt.

Auf der Grundlage umfangreicher Fragebögen und individueller Interviews mit Bildungsexpert:innen habe ich ein ehrgeiziges pädagogisches Tool entwickelt. Es besteht aus einer Entwicklungsplattform, die sich zunächst an Lehrer und anschließend an Schüler richtet. Es zielt darauf ab, den Lehrplan neu auszutarieren, indem es den Zugang zu Ressourcen erleichtert, die das gegenwärtig vorherrschende Wissen sowohl in Frage stellen als auch ergänzen. Sie soll auch Lehrer und Experten unabhängig von ihrem Standort durch Räume für Inspiration, Zusammenarbeit und Aktion miteinander verbinden.

 

 

Von welchen Erfahrungen/Kursen/Projekten aus dem Studium werden Sie Ihrer Meinung nach am meisten in Ihrer zukünftigen Karriere profitieren?

Eine Sache, die meine Perspektive und mein Verständnis für die mögliche Rolle eines Designers wirklich verändert hat, war der Kurs Human Centered Design von Regina Hanke. Dieser Kurs hat meine Erwartungen in Bezug auf die Herausforderung, die Anforderungen und die Qualität sowohl der Ergebnisse als auch des kreativen Prozesses erfüllt.

Ich entwickelte ein Projekt zu einem sehr komplexen gesellschaftlichen Thema: Rassismus im Alltag. Durch umfangreiche Recherchen lernte ich, die Ästhetik zu vergessen und noch mehr die Rolle des Designers gegen die eines Detektivs, Forschers, Interviewers einzutauschen... Ich musste ständig meine Annahmen in Frage stellen und sie widerlegen oder bestätigen, indem ich mich näher an die Praxis, an die Realität herantastete. Das war aufregend, weil es mich herausgefordert hat.

Diese Erfahrung hat mich darin bestärkt, dass die Arbeit als Designer nicht mit der Arbeit am Computer endet. Ich begann ernsthaft, das Vertrauen in diesen Beruf zu verlieren, fühlte mich in der digitalen Technologie gefangen und hatte daher ständig das Gefühl, nutzlos und von der Realität abgekoppelt zu sein. Dies zu überwinden, ist jedoch nur durch ein aufrichtiges Engagement möglich, d. h. durch die Begegnung mit dem Publikum und eine echte Arbeit des Begreifens, der Einfühlung und der Recherche. Ich wende jetzt viele der methodischen Ansätze aus diesem Kurs in meiner Praxis an.

Wie lassen Sie sich inspirieren? Und was inspiriert Sie am meisten?

Ich verbringe Stunden damit, draußen herumzulaufen. Ziellos. Ich verliere mich in Räumen, in der Stadt und in meinem Kopf. Das ist meine Art, Informationen zu verarbeiten, Worte, Gedanken und Ideen zu ordnen, Pläne und Entscheidungen zu treffen. Die Bewegung meines Körpers löst diese Gymnastik des Geistes aus, die der wesentliche Punkt meines kreativen Prozesses ist.

Dabei lasse ich mich unweigerlich von dem inspirieren, was mich umgibt, von dem, was ich sehe, ohne es unbedingt zu sehen. Aber es schlummert sozusagen in meinem Hinterkopf und kommt später wieder zum Vorschein.

Ansonsten würde ich sagen, hauptsächlich Bücher, Podcasts, Musik und Theater.

 

 

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Für die unmittelbare Zukunft arbeite ich an der Entwicklung und Umsetzung meines pädagogischen Tools in der Schweiz. Es erfordert viel Geduld und Ausdauer, aber ich bin von der Bedeutung und dem Potenzial dieses Projekts überzeugt. Die Lehrerinnen und Lehrer bleiben meine besten Verbündeten, denn nur durch die enge Zusammenarbeit mit ihnen wird dieses Tool sein volles Potenzial und seine Bedeutung erreichen.

Parallel dazu möchte ich neue Orte, Kulturen, Praktiken und Medien erkunden. Aus meiner Komfortzone herauszukommen, fördert meine Kreativität und motiviert mich.

Allerdings ist es schwierig, langfristige Pläne zu machen; ich bin sehr aufmerksam und daher besorgt über das, was in der Welt geschieht. Es geht nicht mehr darum, optimistisch oder pessimistisch zu sein, sondern realistisch. Mit der Klimakrise, dem Erstarken des Rechtsextremismus und dem Krieg in der Ukraine wird es nur noch schlimmer werden. Wir leben in einer Gesellschaft, die ihre Solidarität verloren hat. Und doch ist eine globale Kraft notwendig, um uns zu retten. Dafür möchte ich mich in Projekten engagieren, die sich der Kultur, der Bildung und dem Aktivismus widmen. Irgendwann werde ich eine Pause einlegen. Zurück in die Wildnis gehen, wandern und mit dem Zelt auf Entdeckungsreise gehen, wie ich es gerne tue. Wir werden dazu erzogen, das Scheitern und die Neuorientierung zu fürchten. Das Unbekannte und das Unausgewogene löst Angst aus. Und doch ist Aufhören manchmal die stärkste Tat, die man vollbringen kann, um neue Horizonte zu erschließen.

Vielen Dank für das Interview und die faszinierenden Einblicke. Alles Gute für Sie!