Ringvorlesung: Was Sprache mächtig macht…

Zum Abschluss der Wintersemester-Ringvorlesung hat Prof. Dr. Friedemann Vogel über den Einfluss von sprachlichen Mitteln auf unser Denken und öffentliche Debatten referiert. Dabei wurde deutlich, wie schmal der Grat zwischen gesellschaftlicher Emanzipation und Manipulation ist. Die HMKW-Veranstaltung fand am 10. Januar als Zoom-Konferenz statt.

Auf Einladung des HMKW-Fachbereichs Journalismus und Kommunikation erläuterte Friedemann Vogel neunzig Minuten lang, wovon es abhängt, ob strategische Kommunikation als Machtmittel eingesetzt werden kann. Dabei geht es um den gezielten Einsatz sprachlicher Formulierungen, um auf diese Weise unterschwellig Wissen und Wahrnehmungen, Einstellungen und Verhalten von Zielgruppen zu beeinflussen. Der Professor für Germanistik, Sozio- und Diskurslinguistik der Universität Siegen plädierte für eine differenzierte Sichtweise. Einerseits ließen sich öffentliche Diskurse leicht durch bestimmte sprachliche Mittel lenken, andererseits dürfe daraus nicht eine grundsätzliche Manipulierbarkeit unseres Denkens gefolgert werden. Vielmehr müsse Kommunikation als komplexer „zirkulärer Prozess“ verstanden werden, der durch eine wechselseitige Beeinflussung aller Kommunikationsteilnehmenden geprägt sei. Sprachliches Beeinflussen gehöre zum „kommunikativen Alltag“. Was dabei wie vermittelt und verstanden werde, hänge vom situativen Kontext und der sozialen Interaktion ab, die den Rahmen für sprachlichen Austausch bilden.

 

Als Sprach-, Medien- und Kulturwissenschaftler legt Friedemann Vogel großen Wert auf einen umfassenden Blick auf sein Forschungsgebiet. Bei Kommunikation würden nicht nur Informationseinheiten einfach „transportiert“, sondern werde auch stets das erwartbare „Sprach- und Weltwissen“ des Adressaten berücksichtigt. Deshalb beeinflusse nicht Sprache an sich unser Denken, sondern der Gebrauch von Sprache in konkreten sozialen Interaktionen. Gegen die Allmacht strategischer Kommunikation spreche beispielsweise, dass viele persuasive Strategien leicht durchschaut werden könnten. Dies gelte etwa für die Werbung. Vernunft und Reflexionsvermögen würden in diesem Fall vor Manipulation schützen. Andererseits aber könne Sprache – im Extremfall bei Propaganda – auch Perspektiven in öffentlichen Diskursen verengen oder prägen. Dies sei etwa der Fall, wenn Menschen in öffentlichen Debatten als „Humankapital“ bezeichnet würden oder der Abbau von Arbeitsplätzen als „Rationalisierung“ ausgewiesen werde. Die Verwendung geeigneter Schlagwörter bewirke dabei eine „Änderung öffentlicher Akzeptanz-Bedingungen“, erklärte der Sprachwissenschaftler.

Interdisziplinäres Forschungsfeld

Anhand konkreter Beispiele zeigte Friedemann Vogel auf, wie im öffentlichen Raum Kampagnen zugunsten bestimmter Ziele eingesetzt und manchmal von Gegner:innen konterkariert werden. Dabei können Narrative und deren Diskreditierung ebenso eine zentrale Rolle spielen wie die Verwendung von Formeln und Stereotypen, von Hashtags oder Memes. Techniken und Praktiken strategischer Kommunikation würden auf „diskurssemantische Verschiebungen“ zielen, also auf eine veränderte Wahrnehmung und Deutung von Sachverhalten oder Akteuren (z.B. ein politischer Gegner, der als ‚inhuman‘, ‚kriminell‘ oder ‚psychotisch‘ erscheinen soll). Zu diesem Zweck werde versucht, die Produktion öffentlicher Kommunikation zu dominieren, die Rezeptionsbedingungen zu prägen oder sprachliche Formulierungen mit neuen Wertungen zu versehen. Wer dies verhindern wolle, der müsse allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu Kommunikation gewähren und dafür sorgen, dass Bildung und Medienkompetenz gestärkt würden, argumentierte der Professor des Germanistischen Seminars der Universität Siegen.

Im Laufe des Vortrags wurde deutlich, dass sich das Phänomen der Wirkungen von Sprache auf unser Denken nur interdisziplinär untersuchen lässt. Friedemann Vogel erwähnte außer linguistischen Bezügen auch soziologische, psychologische, semiotische, medien- und kommunikationswissenschaftliche, rechts- und politikwissenschaftliche Betrachtungsweisen. Um den vielen Facetten des Forschungsfeldes gerecht zu werden, hat er mit dem Online-Angebot diskursmonitor.de eine Internetplattform zur „Aufklärung und Dokumentation von strategischer Kommunikation“ initiiert.

Imperative für den „partizipativen Diskurs“

Nachdem der Rektor der HMKW, Prof. Dr. Klaus Schulz, bereits bei seiner Begrüßung zur Ringvorlesung auf die große Verantwortung von Medienschaffenden im Umgang mit Sprache hingewiesen hatte, formulierte Friedemann Vogel am Ende seines Vortrags konkrete Empfehlungen. Es gehe darum, öffentliche Manipulationsversuche abzuwehren, indem diese transparent gemacht werden müssten. Medienschaffende, die unkritisch fremde Schlagwörter oder Stereotype übernähmen, würden demokratische Diskurse gefährden. Außerdem mahnte der Wissenschaftler zur Skepsis gegenüber „institutionalisierter Sprachpolitik und medialer Kontrolle“. Darüber hinaus müsse möglichst sensibel mit „sprachlichen Perspektivierungen“ und deren Folgen umgegangen werden. Partizipativer Diskurs im Alltag setze Mut und Toleranz voraus, aber auch ständiges Dialogisieren, Differenzieren und Argumentieren.

Wie schwer es ist, Vogels kategorische Imperative für gelingende Kommunikation und Partizipation umzusetzen, wurde bei der abschließenden Diskussion deutlich. Ein Beispiel: Gefragt nach dem Einfluss von Sprache auf unser Denken in Bezug auf die Wahrnehmung aller Geschlechter, wies der Experte darauf hin, gendergerechte Sprache könne je nach Situation variieren. Gehe es beispielsweise um abstrakte Rollenzuschreibungen, für die das Merkmal Geschlecht irrelevant seien, bevorzuge er das generische Maskulinum, während es in vielen anderen Fällen und je nach Kommunikationspartner:in wichtig sei, Diversität explizit hervorzuheben.