Ringvorlesung-Auftakt: Über Corona und Journalismus

Zum Auftakt der Kölner HMKW-Ringvorlesung im Wintersemester haben drei Experten darüber diskutiert, wie das Corona-Virus den Journalismus verändert. In einem Punkt waren sich die beiden Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Vinzenz Wyss (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) und Prof. Dr. Martin Welker (HMKW) sowie Gewerkschaftsvertreter Peter Freitag (Vorstandsmitglied des dju-Bundesvorstands in ver.di) einig: Journalismus gewinnt in Krisenzeiten an Bedeutung, steht aber mehr denn je vor der Herausforderung, faktenbasiert, kritisch und unabhängig zu berichten.

Etwa hundert Studierende, Professorinnen und Professoren sowie Lehrbeauftragte der HMKW verfolgten am 20. Januar neunzig Minuten lang per Video-Konferenz eine anregende Debatte über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen von Journalismus in Zeiten der Corona-Pandemie. Gewerkschaftsvertreter Peter Freitag berichtete von großer Verunsicherung in den meisten Redaktionen. Der klassische „Terminjournalismus“ sei kaum noch möglich, es gebe nur noch ein zentrales Thema, vor allem aber drohe die wirtschaftliche Basis für Journalismus zu erodieren, weil jeder Lockdown massive Einbrüche bei den Werbeeinnahmen auslöse. Die Folgen seien Kurzarbeit, Tarifflucht und sinkende Einkommen. Zugleich aber hätten vor allem Lokalredaktionen in den vergangenen Monaten immer wieder bewiesen, wie wirkungsvoll Journalismus sei, wenn er das thematisiere, was Menschen in ihrem Alltag im Umgang mit den Folgen des Covid-19-Virus erleben, betonte der Redakteur der Rheinischen Redaktionsgemeinschaft (RRG) von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau.

Prof. Dr. Vinzenz Wyss attestierte Journalismus „Systemrelevanz“

Gerade in der Krise habe sich gezeigt, dass Journalismus „systemrelevant“ sei, argumentierte der Schweizer Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Vinzenz Wyss (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften). Kritik daran, dass die Medien zu viel über das Thema Corona berichten würden, mochte er nicht teilen. Die Pandemie erfülle alle Nachrichtenfaktoren und betreffe sämtliche Bereiche unserer Gesellschaft. Allerdings seien die Medien in der Anfangsphase zu sehr der Agenda von Politik und wenigen Virologen gefolgt, statt auch weitere Perspektiven zu berücksichtigen. Das gelte etwa für die andere Wissenschaftsdisziplinen, aber auch für die Ängste derjenigen, die dem Impfprogramm nicht trauen. Es sei falsch, sich pauschal über „Aluhutträger“ oder „Querdenker“ lustig zu machen. Vielmehr müssten Einwände von Skeptikern ernst genommen werden. Dieser Einschätzung stimmte Prof. Dr. Martin Welker vom Fachbereich Journalismus und Kommunikation der HMKW in Köln zu. Jedoch dürfe dies nicht dazu führen, dass demokratiefeindlichen Strömungen ein Forum geboten werden.

Auf die Frage, ob in Krisen-Zeiten ein systemrelevanter Journalismus nicht auch die Aufgabe habe, eine Polarisierung in der Gesellschaft zu vermeiden, warnte Martin Welker davor, den Journalismus zu überfordern. Kritik und Kontrolle helfe als Kernfunktion des Journalismus der Demokratie, solange dies faktenbasiert geschehe. „Journalismus hat nicht die Aufgabe, runde Tische zu bilden“, sagte der Journalismusforscher. Auch Vinzenz Wyss unterstrich, Journalismus dürfe nicht zum „Handlanger fremder Ideen“ werden, müsse auch mal irritieren und „Unordnung schaffen“. Daraus könne ein gesellschaftlicher Diskurs entstehen, der wiederum integrativ wirke. Die Demokratie sei für sich selbst verantwortlich. Einig waren sich die drei Experten darüber, dass Journalismus seine Rolle, seine Arbeitsroutinen und -methoden zu selten transparent mache. „Journalismus erklärt sich zu wenig“, sagte dju-Vorstandsmitglied Peter Freitag und kritisierte, die enorme Arbeitsverdichtung lasse Redakteurinnen und Redakteuren kaum noch Zeit zur kritischen Reflexion.

 

Prof. Dr. Martin Welker fordert faktenbasierte „Erklärleistung“ des Journalismus

Während der von Prof. Dr. Lendzian und Prof. Dr. Matthias Kurp (beide Fachbereichsleitung) moderierten Debatte wurde deutlich, wie wichtig Wissenschaftsjournalismus ist. Nur so könnten Befunde und Zahlen angemessen dargestellt und interpretiert werden. Auch die Rolle der Wissenschaft selbst müsse erklärt werden, empfahl Vinzenz Wyss. Es sei falsch zu glauben, dass es objektive Erkenntnis gebe. Vielmehr sei Wissenschaft immer nur der „neueste Stand des Irrtums“. Martin Welker forderte entsprechend eine verstärkte „Erklärleistung“ des Journalismus, basierend auf „sauberer Recherche“ und kritischer Argumentation. Alles in allem sei die Bilanz des Journalismus für das vergangene Jahr dennoch positiv, lautete das Expertenurteil. Peter Freitag sprach von einer gestiegenen Wertschätzung, Martin Welker wünschte sich abschließend mehr faktenbasierte Darstellung von möglichen Handlungsoptionen in der Krise, und Vinzenz Wyss ermunterte zu „bescheidenem Selbstbewusstsein“, mahnte aber zugleich, die Branche müsse noch transparenter machen, wie sie arbeite.

Die interdisziplinäre Ringvorlesung der HMKW in Köln wird fortgesetzt. Nächster Gast wird am Mittwoch, 27. Januar, Dr. Lars Hochmann (Vertretungsprofessor für Plurale Ökonomie an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung) sein. Er referiert zum Thema „Dynamic Capabilities in Times of Crisis“ über Potenziale einer nachhaltigen Entwicklung von Wirtschaft und pluraler Ökonomie in Bezug auf die Covid-19-Pandemie.